Bela im Einsatz

 

Diesen Bericht habe ich schon vor fast sieben Jahren versprochen. Leider konnte ich meinen inneren Widerstand nicht überwinden, denn dieser Bericht hat einen Hacken – ich darf meine Besuchspersonen nicht beim Namen nennen. Nun habe ich mich endlich hingesetzt, und beauftragte mich gleich als erstes, meine Leute umzutaufen. Alle Personen, die ich in diesem Beitrag erwähnen werde, heissen in Wirklichkeit anders.

Also Belyj Jar – im Einsatz BELA – war ( ist sie immer noch ) nun stolze Besitzerin der VTHS – Plakette, bei dessen Rückseite sogar ihr Name eingraviert ist. Und ich bekam meinen Ausweis, den ich regelmässig verlängern lassen musste, denn er ist nur beschränkt gültig.

Zufälligerweise erschien ein paar Wochen vor unserer Prüfung ein Zeitungsartikel über einen Therapiehund und seine Arbeit mit behinderten Leuten. Eigentlich sah ich unseren Einsatz nicht in dieser Richtung, ins Altersheim wollte ich aber auch nicht gehen. Etliche Anfragen wurden jedoch abgelehnt, zum Teil warte ich heute noch auf eine Antwort. Zu diesem Zeitpunkt brauchte ich wieder mal unseren Hausarzt, was mich aber nicht davon abhielt von Bela zu erzählen. Ich erwähnte auch, dass ich gerne in den Einsatz gehen würde, aber lieber nicht in ein Behindertenheim. Er meinte nur, ich dürfe nicht schauen, wie die Leute im Alltag eingeschränkt sind, sondern zu was sie noch fähig sind. Dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. So kam es, dass ich der Besitzerin vom Therapiehund aus der Zeitung anrief, um zu fragen, ob sie noch ein Team gebrauchen könnten. Sie diskutierte nicht lange, und wir wurden beide zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach einem gemütlichen Kennen lernen, teilte sie mir mit, dass sie mich bei der Heimleitung anmelden würde, dass wir beide aber nochmals kommen müssten. Kein Problem! Bei diesem Gespräch waren nämlich gleich 10 Bewohner anwesend, für die ein Einsatz mit einem Therapiehund in Frage kommen könnte. Übrigens - der Einsatz mit einem Behinderten kann nur mit der Einwilligung der Eltern statt finden. Wir legten gemeinsam die Besuchszeiten fest, und weil so viele Interessenten anwesend waren, beschlossen wir, dass ich gleich zwei Gruppen besuchen dürfe. Einfach alle zwei Wochen die gleichen Leute. Bei grösseren Abständen gestaltet sich der Aufbau einer tieferen Beziehung als fast unmöglich. Was mir auch noch wichtig war, da ich noch nie etwas mit Behinderten zu tun gehabt hatte, bat ich anfänglich um eine Betreuungsperson, die uns dann auch begleiten könnte. Das wurde mir nach gegenseitiger Absprache zugesichert. Nicht selten leiden Behinderte an epileptischen Anfällen, in solch einer Situation wollte ich mich mit unserer Person gut aufgehoben wissen. Mittlerweilen habe ich nur noch teilweise eine Begleitperson dabei, ich durfte auch an einem Epilepsiekurs teilnehmen, trotzdem ist die Angst vor einem Anfall geblieben.

Nun standen vier Personen fest, die wir zum Teil bis heute regelmässig besuchen. Eines muss ich noch erwähnen. Bela verfügt über fast keine Kunststücke. Sie kann wohl die Pfote geben, sie kann auf Wusch „schwatzen“, aber das kleine Plüschtier apportiert sie nur zu Hause. Das ist kein Verlust für uns, da wir sehr gerne mit den Bewohnern spazieren gehen. Zudem ist das Streicheln ihres prächtigen Fells sowieso ein grosses Bedürfnis. Das Grösste wird aber sein, dass unsere Besuchspersonen Bela führen dürfen. Sie ist eine absolut sichere Gefährtin. Nur bei einer Situation vergisst sie die komplette Ausbildung, das geschieht regelmässig bei der Begegnung mit einem Eichhörnchen. Doch das nimmt ihr niemand übel.

Es war soweit, der erste Einsatz mit Gerda und Heidi war gekommen. Heidi sitzt im Rollstuhl, kann sich aber hinstellen, wenn sie sich am Tisch oder an der Gehhilfe abstützen kann. Das ist sehr hilfreich, vor allem im Winter, wenn sie den dicken, warmen Beinschutz anziehen muss. Sie kann auch ein wenig Sprechen. Auf jeden Fall weiss sie immer, mit welchem Auto Bela chauffiert wurde, sobald sie es sieht. Letzten Winter hat sie sogar bemerkt, dass Beat die Winterräder montiert hatte. Ich muss auch regelmässig einen Gruss an Beat ausrichten. Sie hat ihn vor Jahren an einem Basar kennen gelernt. Als Bela noch nicht kastriert war, kündigte ich eine bevorstehende Läufigkeit an, Heidi meinte nur – dann könne ich ja eine andere mitnehmen. Irgendwann muss sie in einem Gespräch mit jemand anderem aufgeschnappt haben, dass wir mehr als einen Hund haben. Ich staunte nicht schlecht.

Heidi ist eine gute Belaführerin. Sie verfügt über genügend Kraft in den Händen, auch wenn ein Eichhörnchen für Aufregung sorgen sollte. Ihr kann ich auch gut sagen, wenn sie Bela kürzer nehmen soll, zum Beispiel wenn Fussgänger oder Velofahrer unseren Weg kreuzen. Wir drei haben viel Spass zusammen. Das ist auch ein wichtiger Bestandteil für mich. So ein Einsatz muss für alle Beteiligten stimmen.

Am selben Nachmittag besuche ich Gerda. Sie ist seid ihrer Geburt blind, und hat zum Teil mit Berührungsängsten zu kämpfen. Sie ist die Einzige, mit der ich nicht spazieren gehe. Beat und ich besorgten ihretwegen ein Sofa, wo sie sich bequem hinsetzen kann, und Bela darf auch auf das Sofa, wo sie sich neben Gerda hinlegt. Gerda ist nicht sehr bewegungsfreudig. Wenn sie will, kann ich ihr die Hand nehmen und Bela streicheln. Wenn sie nicht wollte, hatte sie auch schon heftig gegen die Brust geschlagen, wobei ich sofort nachgab, um sie ja nicht unter Druck zu setzen. Ausgeübter Drück könnten einen Anfall auslösen. Fühlte sich Gerda angespannt, liess ich sie, versuchte aber Bela in ein „Gespräch“ zu verwickeln. Dankbarerweise war sie mir immer eine grosse Hilfe, und schwatze minutenlang mit mir über Gerda und den Besuch bei ihr. Wobei Gerda immer ins Gespräch miteinbezogen wurde. Wir beide haben es bis jetzt noch jedes Mal geschafft, dass sich Gerda bis zum Schluss beruhigen liess, und ich mit ihr Bela streicheln konnte. Danke liebe Bela! Mittlerweilen kommt das sich auf die Brust schlagen fast nicht mehr vor. Ich kann gut mit ihr Bela streicheln, oder sie lässt zumindest ihren Arm auf ihr ruhen. Das Schönste, was Gerda machen kann ist, Bela von sich aus mit beiden Armen um den Hals zu halten. Gelegentlich hat sie schon die Ohren von Bela gesucht, die sie dann sehr lieb streichelte. Die Zeit mit Gerda empfinde ich als Muse. Ich denke, sie tut uns beiden gut.

Eine Woche später besuchte ich damals Heiri und Irmgard . Beide waren zu Fuss dabei, der Rollstuhl durfte aber auch nicht fehlen, so konnten beide abwechslungsweise gefahren werden. Irmgard schätzt die Zeit mit Bela sehr. Sie kann zwar nicht sprechen, versteht aber, was gesprochen wird. Trotz ihrer Sprachbehinderung können wir uns köstlich amüsieren. Es gibt schon Sachen, die ich nicht zu deuten weiss, was sie mir mitteilen möchte. Ich hatte aber noch nie den Eindruck, dass sie deshalb betrübt gewesen wäre. An den seltenen Regentagen, die ich mit den beiden im Trockenen verbrachte, durften sie Bela bürsten. Irmgard ist für alles zu begeistern, was mit Bela zu tun hat. Heiri war da etwas anders. Er ist auch autistisch veranlagt. So hat er seine Standartsätze – zum Beispiel: Geschter isch hüt Fritig gsi – Zabig ässä – oder hei ga. Diese Sätze fehlten nie. Leider brachte Bela bei ihm nicht die erwünschte Motivation zum Spazierengehen, so waren wir Begleiter gefordert, ihn bei Laune zu halten. Er liess sich relativ gut ablenken mit einem Kinderlied wie – det änä am Bärgli oder jungi Schwän und Äntli, die er auch tatkräftig mitsang. Wollte er aber überhaupt nicht, so konnte er sich auch der Länge nach hinlegen, und es brauchte doppelte Motivation. Ein Mal hat er sogar seine Betreuerin in den Oberarm gebissen, um seinen Widerwillen tatkräftig zu unterstreichen. Der grösste Lapsus geht aber auf mein Konto. Das war eine Ablenkung im falschen Moment. Ich bat Heiri, Bela ein Gemüsegutzi zu geben. Er musste sich das gut überlegen, ich schaute kurz weg, und ich sah nur noch, wie es in seinem Mund verschwand. Ich habe mich deshalb nicht sonderlich stressen lassen. Im Heim wurde es auch nicht dramatisiert.

So vergingen cirka eineinhalb Jahre – und ich erhielt die Kündigung am damaligen Arbeitsplatz. Glücklicherweise fand ich noch in der Kündigungsfrist eine neue Stelle. Im ersten Monat arbeitete ich sehr viel. Wir mussten die Einsätze vorübergehend ausfallen lassen. Doch ich beharrte darauf, dass wir einen halben Tag gebrauchen würden, den ich für unsere Besuchspersonen reservieren konnte. Vorher war es der Mittwochnachmittag, neu ist es nun der Freitagnachmittag. Vormittags ging es fast nicht, da die Bewohner in den Genuss von weiteren Therapien kommen. Nach einer weitern Besprechung mit der Heimleitung und den Betreuerinnen ergab sich folgendes: Die Zeit mit Heidi und Gerda wurden von 30 Minuten auf 45 Minuten verlängert. Ein längerer Spaziergang mit Heidi ist für Bela kein Problem. Einzig bei Gerda betrachte ich es als eine Leistung, Bela 45 Minuten  lang ruhig liegend neben Gerda zu platzieren. Wobei sie überhaupt nicht aufmüpfig ist, aber sie gibt mir zu verstehen, wenn Gerda sie nicht streicheln will, so soll ich das doch wenigstens tun. Wie könnte ich ihr diesen Wunsch abschlagen. Bei Gerda mussten wir einfach feststellen, falls sie mal einen schlechteren Tag hatte, brauchte sie fast die ganze Zeit, um die innere Ruhe finden zu können, damit sie Bela auch wirklich geniessen konnte. Deshalb verlängerten wir auch bei ihr die Besuchszeit. Nach so langer Zeit darf ich sagen – es war eine gute Entscheidung.

Bei Irmgard und Heiri veränderte sich auch einiges. Irmgard kam nun alleine in den Genuss von Bela. Ihre Beine verloren auch etwas an Gehkraft. Sie hatte auch mehrere Spitalaufenthalte. So bekam ich die Möglichkeit, mich nur auf sie zu konzentrieren. Leider würden zum Teil Behinderte auch gerne den Weg des geringsten Widerstandes gehen, und Irmgard hätte sich am liebsten die ganze Zeit mit Bela spazieren fahren lassen. Ich war etwas gemein mit ihr. Bela und ich gingen fortan nur noch mit einem Frotteetuch zu Besuch, ich breitete das Tuch über den Rollstuhl aus, setzte Bela hinein – so war der Rollstuhl leider schon besetzt. Es hätte natürlich nicht funktioniert, wenn Irmgard nicht begeistert gewesen wäre, Bela im Rollstuhl umher zu stossen. Sie gab mir dann schon zu verstehen, wann es Zeit war, selber gefahren zu werden. Heute ist es leider so, dass ich sie nur noch im Rollstuhl mitnehmen kann. Die Freude an Bela ist aber geblieben.

Wie bereits erwähnt, hatte die Hundetherapie bei Heiri nicht die gewünschte Reaktion gezeigt. Er kennt aber Bela heute noch. Da es nach wie vor noch andere Bewohner gab, die gerne hätten mit Bela zusammen sein wollen, versuchten wir das Ganze mit zwei anderen Bewohnern. Zuerst durften wir Tom und Sabine besuchen gehen. Tom ist schwerstbehindert, er kann eigentlich nur mit Gesichtsausdrücken auf Fragen antworten. Sabine kann gehen, sprechen habe ich sie noch nie gehört. Sie gibt dann mit ihren Lauten Antwort. Sie war auch diejenige Besuchsperson, bei der ich am meisten angespannt war. Bei ihr musste ich so sehr darauf achten, dass sie Bela nicht an den Haaren rupfte. Sie konnte so lieb streicheln, doch noch im letzten Moment schaffte sie eine hastige Bewegung, bei der sie noch schell die Haare zu fassen bekam, um dann eben die Hand mit den umklammerten Haaren weg zu ziehen. Bela musste auch schon aufwichsen, weil ich unachtsam war. Sie hätte aber nie eine solche Situation ausarten lassen. Bela zeigt immer an, wenn etwas nicht gut ist, so gibt sie mir  genügend Zeit, um reagieren zu können. Dies sollte aber ohne Verzögerung geschehen. Es kam auch vor, dass Sabine während der Besuchszeit abgeholt wurde. Wir fanden das Schade, überlegten uns aber, mit einer weiteren Person Kontakt aufzunehmen. Nun kam Richard zum Zug. Richard verfügt über einen elektrischen Rollstuhl. Er kann sprechen, er interessiert sich für das Weltgeschehen, leidet aber ab und zu an heftigen Epilepsieanfällen. Wenn ich mit Tom und Richard spazieren gehe, werden wir immer von einer Betreuerin oder einem Betreuer begleitet. Es wäre auch unmöglich, zwei Personen im Rollstuhl und ein Hund auf der Strasse richtig beaufsichtigen zu können. Kommt dazu, dass Richard sehr gerne unsere Bela führt, dann aber wünscht, dass unsere Begleitperson oder sogar ich den elektrischen Rollstuhl lenken. Was wäre dann mit Tom? Zu viert können wir allen gerecht werden, und wir können unsere Ausflüge auch geniessen. Richard und Tom hätten auch keine Chance, Bela zu halten, falls sie ein Eichhörnchen erblicken würde. Aber zu viert wären wir auch dieser Situation gewachsen. Bevor wir uns von den drei verabschieden, lege ich Bela den beiden noch auf den Schoss. Genüsslich knuddelt Richard mit seinen Fingern in Bela’ s Fell. Tom versucht so gut es geht mit seinem Arm über Bela zu streichen. Es kostet ihn ungeheure Konzentration, um seinen Arm so zu steuern, dass er ihr Fell spüren kann. Auch schon hat er beim hinunter gleiten seines Arm’ s ein paar Haare erwischt, wobei Bela aber noch nie reklamiert hat. Mein entsetzter Blick liess ihn über das ganze Gesicht strahlen. Das erste Mal, als Tom seinen Arm nach Bela ausstreckte, war im Wald auf einer Bank. Er war im Rollstuhl neben der Bank. Bela setzte sich auf der Bank ganz nahe neben ihn hin, und wir genossen einfach die gemeinsame Zeit. Plötzlich registrierten wir, dass Tom sich konzentrierte, und es gelang ihm tatsächlich, Bela zu berühren. Das sind die grossen Momente in einem Einsatz. Wie freuten wir uns, das beobachten zu können.

Ein weiteres Mal sassen wir wieder auf dieser Bank. Das Wetter zeigte sich etwas unsicher, doch bis zur Bank waren die Wolken dicht. Es dauerte aber nicht lange, da hörten wir die ersten Tropfen auf die Blätter fallen. Ich kommentierte trocken – solange die Tropfen nur die Blätter erreichen würden, unsere Köpfe aber trocken bleiben würden, könne uns das ja egal sein – schaute per Zufall auf Tom und sah, wie er seine Augen fest zusammen kniff. Erstaunt schaute ich zu unserer Begleiterin, die das auch mitbekommen hatte, und meinte, das wäre ein  klares JA gewesen.

So vergingen die Jahre! Rückblickend muss ich sagen, haben diese Einsätze auch mich verändert. Ich bin aufmerksamer geworden, ich wage auch zu fragen, ob jemand Hilfe benötigt. Bela hat auch bei mir ein Tor geöffnet. Danke - du kleine und doch so grosse Bela! Sie wird für uns immer einmalig bleiben.

Im November wird Bela 10 Jahre alt. Gut sieben Jahre wird sie dann im Einsatz gewesen sein. Im Dezember werden wir unsere Einsätze beenden. Zur Zeit versuche ich mich auch beruflich zu verändern, ob ich mein Pläne umsetzen kann, wird die Zukunft weisen. So oder so, die Zeit mit Bela war sehr lehrreich. Beat und ich hoffen aber, dass Belyj Jar noch lange UNSERE treue Begleiterin sein darf.