Belyj Jar - du bist die Grösste !

Freitag 30. März 2001! Mein Mann wurde an diesem Morgen an der Lunge operiert. Wie es mit frisch operierten Patienten so ist, wurde er zur Überwachung auf die Intensivstation gebracht. Nach der Operation wollte ich wissen, wie es ihm ginge. Die Schwester drückte ihm gleich den Hörer in die Hand. Doch Beat klang mies. Er hatte Schmerzen. Es wurde mir fast übel - so hatte ich ihn noch nie gehört. Am Abend fuhr ich zu Beat. Ich wollte ihn sehen. Doch ich war noch nie auf der Intensivabteilung. Auf der Fahrt zum Spital begann mein Magen zu schmerzen - ich hatte Angst. In der Intensivstation wurde ich in ein Einzelzimmer geführt. Zu meiner grossen Überraschung hatte sich Beat beachtlich erholt, denn er konnte bereits sein erstes Nachtessen nach der Operation geniessen. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Mit der Gewissheit, dass es meinem Braunbären relativ gut ging, fuhr ich nach Hause. Doch mein Magen schmerzte immer noch. Was soll das? Am kommenden Morgen stand mir zwar die Prüfung mit Belyj Jar bevor. Aber ich hatte mir doch geschworen, wenn ich mit einem Tier arbeite, lasse ich mich nicht ins Boxhorn jagen. War ich wirklich nervös? Abwarten und Tee trinken! Ich trank zwar keinen Tee, ich fing einfach an, die Sachen für den nächsten Tag zu richten. Die Magenschmerzen liessen nach. Na also! Ich konnte sogar schlafen. Am Morgen liess ich mich vom Wecker frühzeitig wecken – so konnte ich dem grossen Tag in aller Ruhe entgegen sehen. Unser Weg führte nach Affoltern am Albis. Belyj Jar und ich hatten sogar Zeit für einen Spaziergang mit den anderen Prüflingen. Mein Magen meldete sich nicht mehr. Ich glaube, es war wirklich wegen Beat gewesen. Langsam aber sicher begann es ernst zu werden. In kleine Gruppen aufgeteilt begannen wir von Posten zu Posten zu laufen. In meiner Gruppe waren zwei Bergamasker. Belyj Jar und der Grössere der beiden begannen sich gegenseitig zum Spielen aufzufordern. Zwar konnten sie nicht miteinander spielen, doch es war offensichtlich - die beiden nahmen es locker. Ich wusste es doch. Jede künstliche Nervosität wäre eine pure Energieverschwendung gewesen. An der Prüfung wurden die Hunde auf Berührungen durch Fremdpersonen und ihre Reaktionen getestet. Immer wieder sahen sich unsere Freunde mit ungewohnten Geräuschkulissen und Verhaltensmustern konfrontiert. Auch Gehorsam und Unterordnung waren ein Teil der Prüfung. So neigte sich die Prüfung dem Ende entgegen. Wir konnten aufatmen und erleichtert in die Pause gehen. Um 12.00 Uhr versammelten wir uns noch ein Mal, schliesslich wollten wir wissen, wie es gelaufen sei. Der Experte meinte, es würde für uns alle (wir waren insgesamt 20 Teilnehmer) die Sonne scheinen. Super! Wir haben die Hürde geschafft. Belyj Jar - du bist die Grösste! Sie war wirklich goldig, sie reagierte bestens auf mich und meine Befehle. Stolz machte ich mich auf den Weg ins Spital. Eigentlich hätte ich die weissen Handschuhe und die Mütze mitnehmen sollen. Schliesslich durfte ich eine ganz grosse Lady nach Hause fahren! Am Nachmittag konnte ich die anderen beiden Mädchen bei einer Bekannten abholen. Ich durfte sie am Abend vorher zum Hüten bringen. Herzlichen Dank!

Was ist ein Therapiehund?

Therapiehunde sind sehr vielseitig. Sie zeigen einen guten Gehorsam, sie sind sehr kontaktfreudig - trotz aller Freundlichkeit müssen sie recht belastbar sein. Für diese Ausbildung eignen sich alle Hunde mit den erwähnten Eigenschaften ab zwei Jahren. Zu Beginn ist jedoch ein Eignungstest zu bestehen. Der Gehorsam ist also schon Bedingung für die Fortsetzung. Hundeführer mit sozialisierten Hunden haben es auch leichter, da die Ausbildung in kleineren Gruppen absolviert wird. In der Ausbildung lernen die Hunde, von einer Person mit Krücken oder Gehhilfen geführt zu werden, ohne dass sie an der Leine ziehen dürfen. Sie dürfen auch nicht gross reagieren, wenn ein anderer Hund ihren Weg kreuzt. Dasselbe gilt auch bei Personen im Rollstuhl. Wünscht die besuchte Person eine Pause und es findet sich per Zufall einen Spielkameraden für unseren Freund, können wir ihm diesen Spass gönnen. Er sollte jedoch sofort auf das Rufen der Führerperson reagieren und herkommen, sobald sich die Besuchsperson auf den Heimweg begeben möchte.

Bei den Einsätzen ist das oberste Gebot - Besuchsperson und Hund müssen sich wohl fühlen. Das Wohlbefinden des Führers ist natürlich auch wichtig. Doch er kann seinen Einsatzort weitgehend mitbestimmen.

Der Hund darf der Besuchsperson nie aufgezwungen werden. Die Person soll von sich aus sagen, wann der Kontakt zu erfolgen hat und auf welche Art er erwünscht ist. Die Häufigkeit der Besuche wird von den Therapeuten oder Ärzten im Gespräch mit der Führerperson abgesprochen. Sie entscheiden auch, welche Personen besucht werden dürfen.

Je nach dem wo sich der Einsatzort befindet, lernt der Hund auch auf glitschigen Böden zu laufen. Sollte die Besuchsperson in die dumme Situation geraten, dass ihr der Patient beim Spazieren im Gang zusammenbricht, ist es von grosser Wichtigkeit, dass sie ihren vierbeinigen Freund ins Platz legen und bedenkenlos Hilfe holen kann. Auf so glatten Böden kann ein Hund unmöglich rennen. Deshalb ist es unerlässlich dem Hund beizubringen, an Ort und Stelle zu verharren, bis die Führerperson (in diesem Falle mit der Krankenschwester oder dem Arzt) zurück kommt, und ihn aus dem Platz löst.

Je nach Institution ist es möglich, dass unser Kumpel von mehreren Personen gleichzeitig freudig und schreiend begrüsst werden kann. In solchen Situationen ist es absolut wichtig, dass die Besuchsperson dem Hund mit der Stimme Sicherheit vermitteln kann, dass alles in Ordnung ist. Solche Situationen üben einen grossen Druck auf den Hund aus. Je fester die Bindung zum Kumpel ist, desto leichter wird der Hund mit der Situation fertig. Es ist auch von grosser Wichtigkeit, dass der Hund eine grosse Geräuschpalette kennt. Immer wieder können völlig unerwartete Geräusche in unterschiedlichen Lautstärken auftreten. Dass unser Kollege erschrickt, ist normal, doch er darf sich auf keinen Fall panisch oder gar aggressiv zeigen. Bei gewissen Besuchspersonen ist es sogar möglich, dass die entsprechende Person unkontrollierte Handlungen ausüben kann. In so einer Situation ist die Führerperson gefordert. Therapiehunde gehen nie ohne den eigenen Führer in den Einsatz. Die Führerperson ist für den Schutz des Hundes sowie für den Schutz des Patienten verantwortlich. Sollte dennoch einmal etwas passieren, haftet der Hundeführer. Um solchen unangenehmen Zwischenfällen vorzubeugen, werden Hund und Hundeführer dementsprechend ausgebildet. Immer wieder wurden unsere Hunde zu Personen mit ungewohnten Verhaltensweisen und plötzlichem Schreien geführt. Diese ungewohnten Personen mimten wir selber. Sollte ein Hund in der Psychiatrie zum Einsatz kommen, ist es um so wichtiger, dass er und seine Führerperson eine vielseitige Ausbildung geniessen konnten.

Es ist unumgänglich, dass der betreuende Arzt, Therapeut oder Heimleiter in den Einsatz integriert wird. Nur gemeinsam kann eine gute Basis zu Gunsten der zu betreuenden Person wie auch zu Gunsten des Hundes aufgebaut werden. Normalerweise geht ein Hund ein bis höchstens zwei Mal pro Woche oder alle zwei Wochen ein Mal in den Einsatz. So kann vermieden werden, dass der Hund überfordert wird. Grössere Pausen zwischen den Einsätzen lassen kaum noch eine Beziehung zwischen Patient und Hund zustande kommen.

Es gibt auch Patienten, bei denen ein Therapiehund unerwünscht ist. Bei Leuten mit einer Hundephobie oder allergischen Reaktionen ist ein Hund fehl am Platz. Auf der Intensivstation kommt ein Tier aus hygienischen Gründen nicht zum Einsatz. Ältere Menschen, die an Altersverwirrtheit leiden - mal zeigen sie Freude am Hund, das nächste Mal fürchten sie sich vor ihm - bei solchen Leuten wird auf Besuche mit Hunden verzichtet. Wie schon erwähnt, gibt es Patienten mit Problemen in der Fein- oder Grobmotorik. In solchen Fällen muss sehr gut abgewogen werden, ob ein Hund eingesetzt werden darf oder nicht. Der Schutz des Hundes muss genau so gewährleistet sein, wie der Schutz des Patienten. Eine läufige Hündin lässt man aus hygienischen Gründen pausieren. Wird das Fell büschelweise abgestossen, sollte auch eine Pause eingelegt werden. Operierte Hunde bleiben zu Hause, bis die Fäden draussen sind. Braucht ein Hund Antibiotikum, ist auch hier eine Pause zu machen, so kann einer eventuellen Verhaltensänderung vorgebeugt werden. Doch der wichtigste Grund, weshalb ein Hund nicht eingesetzt werden kann, liegt beim Hund selber. Wie verkraftet er die Einsätze? Ist er gestresst? Zeigt er sich ängstlich? Oder bewältigt er die verschiedenen Gegebenheiten mit links? Der Hundeführer muss seien Kameraden stets beobachten, damit er die kleinsten Anzeichen von Unbehagen erkennen und deuten kann.

Was bringt denn eigentlich so ein Therapiehund?

Ein Therapiehund bringt ganz sicher Abwechslung in den Alltag. Im Altersheim ist er sicher ein gern gesehener Gast. Personen, die früher selber einen vierbeinigen Freund hatten und nun auf Gehhilfen angewiesen sind, fühlen sich um Jahre jünger, weil sie wieder einen Hund spazieren führen dürfen - auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Ein Hund kann eine Brücke zur Aussenwelt sein. Ein Lichtblick. Ein weiches Fell zu berühren kann verkrampfte Hände lösen. Personen, die in der Rehabilitation sind, können für kurze Zeit ihre mühevolle Lage in den Hintergrund verdrängen, solange sie in der Gesellschaft des Hundes verweilen dürfen. Sprachbehinderten Leuten kann das Sprechen zu einem Hund leichter fallen als zu einer Person. Gehbehinderte Leute lassen sich durch einen Hund viel eher zu etwas Bewegung motivieren als von einer Person.

Mit einem Therapiehund in den Einsatz zu gehen ist sicher eine grosse und sinnvolle Aufgabe, aber sie ist nicht zu unterschätzen. In einem späteren Beitrag werde ich über diejenigen Personen berichten, die Belyj Jar besuchen darf.