Eigenschaften !

 

Am 26. April 2005 hat Frau Claudia Stöckli im Gästebuch den Wunsch geäussert, etwas über die Eigenschaften der Samojeden erfahren zu können. Im Beitrag – unser Rudel – habe ich bereits ein paar Charakterzüge beschrieben. Sicher sind es die Stärken und Schwächen unserer Hunde, doch die anderen Hunde unserer Rasse werden sich sicher nicht weit daneben bewegen. Ich werde nun versuchen aus des Perspektive eines Interessenten zu schreiben, um möglichst viele Fragen im vornherein beantworten zu können.

Zuerst möchte ich kurz über die Vergangenheit der Samojeden schreiben.

Die vierbeinigen Samojeden waren für ihre Beschützer – Angehörige des Nomadenstammes der Samojeden, dessen Namen unsere Hunde tragen dürfen – für das eigene Überleben und das der Rentiere unentbehrlich. Sie unterstützten die Nomaden auf der Jagd, hüteten ihre Rentiere und beschützten diese vor Wölfen und Bären. Gelegentlich wurden die Hunde auch vor den Schlitten gespannt, da aber die Rentiere kräftiger waren, wurde diese Aufgabe mehrheitlich ihnen übertragen. Doch da war noch etwas ganz besonderes. Nach Kräfte zehrender Arbeit durften die Hunde mit ins Zelt, um sich aufzuwärmen und neue Kräfte tanken zu können. Forscherberichten zufolge mussten sogar die besten Plätze am Feuer geräumt werden, um den Hunden die best mögliche Erholung bieten zu können. Zudem dienten die Samojeden auch als Wärmequellen für Jung und Alt. Bei den Kindern halfen sie sogar mit bei der Hygiene. Genau diese Überlieferung  lässt erahnen, welchen Stellenwert die Hunde bei den Nomaden hatten. In diesem rauen Klima waren Mensch und Tier aufeinander angewiesen, und es entwickelte sich eine innige Verbundenheit. Leider soll es den Stamm der Samojeden nicht mehr geben, doch wenn ich unsere Hunde beobachte, kann ich sagen, dass ihre Liebe und Freundschaft in unseren Hunden weiterlebt. Wie die Hunde nach Europa kamen, ist im Buch „Der Samoyede“ von Erna Bossi ausführlich  beschrieben.

Bekanntlich soll der Hund des Menschen bester Freund sein. Dies trifft ganz sicher auf die Samojeden zu. Wird den Hunden kein Leid zugefügt, sind auch keine unerwünschte Reaktionen zu befürchten. Natürlich muss ich auch erwähnen, dass auch ein Samojede falsch erzogen oder falsch gehalten werden kann. Ansonsten sind diese Hunde sehr gutmütig und zutraulich. Er ist aber kein Einmann-Hund. Bei den Spaziergängen bin ich stets auf der Hut, dass die anderen Tal-Besucher unbehelligt an uns vorbeikommen. Im schlimmsten Fall müssen unsere Draufgänger angeleint oder sitzend warten, bis die Leute an uns vorbei sind.

Mein Mann ärgert sich köstlich, wenn wir unsere Verwandten besuchen gehen. Verstummt der Motor unseres Autos, machen sich unsere Schlitzohren unüberhörbar bemerkbar. Wir geben uns geschlagen, dass das Quartier für 5 Minuten aus der Ruhe gerissen wird. Sind die Hunde in der Wohnung unserer Lieben, kehrt wieder Ruhe ein – als wäre nichts gewesen. Thaiga hat auch schon bei meiner Schwester übernachtet. Sie machte überhaupt keine Anstalten, sich zu erheben, als wir uns verabschiedeten. Da wir meine Schwester am andern Tag wieder sahen, überliessen wir sie ihrer Obhut. Leben andere Tiere bei den besuchten Familien, ist das ein geringes Problem. Unsere Hunde lassen sehr gut mit sich reden. Blindes Vertrauen wäre aber falsch am Platz. In unserem Haushalt lebt eine Katze. Katzen im Freien lassen jedoch den Jagdtrieb auf Hochtouren kommen. Nur zu gerne würden sie auskosten wollen, wer der Schnellere wäre. Sind wir mal mit einem Hund alleine unterwegs, reicht es, unsere Begleiterin mit Worten am Hetzen zu hindern. Doch schon mit zwei Hunden würden die Worte nicht mehr ausreichen.

Unser Rudel lebt seit 7 Jahren mit freilaufenden Enten zusammen. Erst die fünfte Hündin musste den Bogen überspannen. Sie benutzte eine Ente als Spielzeug – sie hat es leider nicht überlebt. Sie hat uns damit knallhart klar gemacht, dass ihr Überlebenstrieb auch nach so vielen Generationen noch voll und ganz vorhanden ist.

Unsere Hunde dürfen sich beim Spatzieren unangeleint vergnügen. Es ist aber von Vorteil, wenn ich die wilden Tal-Bewohner vor ihnen erblicke. Seit Jahren lebt eine Rehmutter im Tal, die hat sicher schon zum dritten Mal Zwillinge grossgezogen. In ihrem Revier lasse ich die Hunde nicht frei, dieses Risiko will ich schon gar nicht eingehen. Lästig wird es, wenn ich mich unterwegs auf ein Gespräch einlasse. Im Nu sind meine Schützlinge weg und lassen mich ihre Unabhängigkeit gnadenlos spüren. Sie entfernen sich in alle Himmelsrichtungen auf eigentlich unerlaubte Distanzen, in der Hoffnung - so kleine graue Erdenbewohner aufstöbern zu können. Sie würden auch nach Laibeskräften graben. Doch das gestatten wir ihnen nicht, da das Land nicht uns gehört. Die Mäuse versüssen unangefochten die täglichen Spatziergänge. Fairerweise muss ich erwähnen, dass unsere Lumpis auch ohne graben erfolgreiche Jäger sind. Zudem liessen mich ihre Fuchssprünge schon so oft Tränen lachen.

Zum Thema Jäger und Rudel möchte ich eine Begebenheit schildern, die mir unter die Haut ging. Unsere Wohnlage ist so glücklich, dass Kühe in den wärmeren Jahreszeiten zu unserem Alltag gehören. Die Kühe haben sich schon längstens an so komische weisse Wundernasen gewöhnt. So ist es auch für mich nichts Aussergewöhnliches, wenn ein Hund unter dem Zaun durchgeht, um sich gegenseitig beschnuppern zu lassen. Die Bedingung ist, dass die Hunde gelassen (nicht spielend) auf die grosse Kollegin zugehen, und das grosse Gegenüber muss mit dem kleinen Besucher einverstanden sein. An einem Morgen marschierte Phayun zielstrebig auf eine Kuh zu. Doch diese war mit dem linken Bein aufgestanden, denn sie setzte mit gesenkten Hauptes auf Phayun zu. Scheinbar war Phayun an diesem Morgen unerwünscht, also beschloss ich sie zurück zu rufen. Ich vermochte ihren Namen nur ein Mal zu rufen, da bemerkte ich, dass Nalleni wie aus einer Kanone geschossen an der rechten Seite der Kuh vorbeirannte, um sie abzulenken. Die Kuh stutzte – und ich ebenfalls. Offensichtlich hatte Nalleni die missliche Lage von Phayun realisiert, und eilte ihr zu Hilfe. Phayun konnte sich in aller Ruhe in Sicherheit bringen. Gerührt von dieser Situation musste ich einsehen, dass diese Taktik sehr gut auf eine Jagdszene umzudenken wäre. Hier käme dann das Motto zum Zug – „Gemeinsam sind wir stark!“.

Eine andere Beobachtung lässt mich oft an ihre Ahnen denken. Es ist schon vorgekommen, dass ich am Spatzieren war und Beat am Joggen. Wir trafen uns unterwegs irgendwo – trennten uns aber wieder, weil ich ja nicht dasselbe Tempo hatte wie er. Solche Situationen sind besonders für Thaiga unbegreiflich. Sie kann es nicht verstehen, dass wir nicht gemeinsam spazieren können. Sie läuft dann hin und her, bis die Distanz zu gross wird. Die anderen Hunde rennen dann einfach mit. Aber für Thaiga ist es ein Problem. Entweder besitzt sie einen starken Rudelinstinkt (ein Rudel bleibt zusammen), oder sie betrachtet uns als Rentiere, die sie beieinander haben will. So oder so, es beeindruckt mich immer wieder.

Samojeden sind richtige Schlitzohren. Da zeigen sie mir die kalte Schulter, wenn ich am Plaudern bin. Sind aber äusserst um Versöhnung bemüht, falls mein Puls ihretwegen auf Hochtouren gerät. Besonders Nalleni muss dann alle zwanzig Schritte kehren, wedelt, bis sie hinten schon fast abhebt, und gibt nicht auf, bis sie eine Streicheleinheit und ein paar liebe Worte ergattern konnte. Manchmal braucht es etliche Liebkosungen, bis sie mir glaubt, dass ich mich wieder beruhigt habe. Kommen dann alle zu mir und wollen lieb sein, kann es schon fast lästig werden. Doch mein Herz wird jedes Mal zum Fondue.

Samojeden sind echte Familienhunde. In ihrem Herzen hat die ganze Familie platz. Als Einzelhund lassen sie sich auch sehr gut schulen. Für ein gutes Wort, für ein Schmusestündchen, für ein bisschen spielen oder ganz besonders für einen kleinen Leckerbissen lassen sich die lächelnden Hunde sehr gut und gerne etwas beibringen, was uns das Zusammenleben mit ihnen erleichtert. Aber auch bei unserer Rasse ist es eindeutig – Weibchen sind die umgänglicheren Lebensgefährten als Rüden. Rüden haben im wahrsten Sinne des Wortes einen harten Schädel. Wir selber haben keine Rüden. Trotzdem möchte ich eine kleine Geschichte erzählen, die ein Rüde aus unserer Zucht fertig brachte. Dieser besagte Schlingel wohnt in einem Mehrfamilienhaus. Irgendwann fand er – er müsse seine Lieben laut bellend begrüssen, sobald diese die Wohnung betraten. Es musste gehandelt werden. Die Zweibeiner beschlossen, den Rebell bei der Begrüssung zu ignorieren. Sie behandelten ihn einfach wie Luft. Erst nach dem Verstummen des Gebells wurde er begrüsst. Am zweiten Tag spielte sich dasselbe ab. Am dritten Tag drehte er den Spiess um! Dieses Mal liess er sie links liegen. Am vierten Tag konnten sie sich wieder von Anfang an begrüssen – ohne Bellen. Samojeden sind schlaue Hunde. Wir Rudelführer werden des Öfteren auf die Probe gestellt.

Ob Weibchen oder Rüden – eines dürfen wir nicht vergessen! Sollte ein zweiter Hund die Familie erfreuen, geht ab und zu die ganze gute Erziehung vergessen. Bereits zwei Hunde sind ein Rudel, da wird gelegentlich der Rudeltrieb das Zepter übernehmen. Eine geradlinige und konsequente Führung ist da immer noch das beste Rezept, bei der aber die Belohnung und Liebkosung nie fehlen darf. Weiter ist zu bedenken, dass läufige Hündinnen den Rüden arg den Kopf verdrehen können. In Sachen Erziehung haben sie dann noch nie etwas gehört. Da hilft nur noch Leinenzwang – und zwar für beide. Hündinnen werden ein bis zweimal Mal läufig pro Jahr. Die Läufigkeit dauert jeweils drei Wochen. In dieser Zeit sollte die Hündin nie unbeaufsichtigt gelassen werden – auch nicht im eigenen Garten. Sie könnte auf Entdeckungsreisen gehen, oder ungebetene Gäste bekommen. Nach der Läufigkeit können die Hündinnen in ein Hormonbedingtes Tief fallen. Das dauert zwei Monate, oder anders gesehen – solange eine Trächtigkeit dauern würde. Werden Hündinnen im Sport eingesetzt, ist dies unbedingt zu beachten. Doch wer seine Hündin liebt, der steht einfach dazu.

 Das war nun ein Schnelleinblick über den Charakter der lächelnden Hunde. In einem Satz gesagt – ist der Samojede ein charmanter, liebevoller Weggefährte mit einem unwahrscheinlich grossen Herz, der aber seine Selbständigkeit nie verlieren wird. Wie es uns die Nomaden vorgelebt haben, sollten die Stupsnasen nur mit Familienanschluss gehalten werden. Zwingerhaltung lässt sie verkümmern, und sie können sogar untereinander unberechenbar werden.

Falls Sie – liebe Leser – sich für einen Samojeden entscheiden sollten, muss ich noch erwähnen, dass die Hündinnen vor der Läufigkeit die gesamte Unterwolle abstossen. Rüden haaren ebenfalls, vielleicht nicht so periodisch wie die Hündinnen. Euer vertrautes Heim wird ab und zu ganz schön mit weissen Fellbüscheln verziert sein.

Wer bereit ist, seine Intelligenz durch einen Samojeden auf die Probe stellen zu lassen - wer bereit ist, sein Leben mit einem Gesell zu teilen, der jedes Mal ausflippt, wenn Besuch kommt und wer über ein weisses Haar im Salat schmunzeln kann, der kann sich ernsthaft überlegen, so einem charmanten und sorglosen Herzensbrecher ein liebevolles und abwechslungsreiches Zuhause zu bieten.